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Stanford-Gefängnis-Experiment: Das Stanford Prison Experiment war eine psychologische Studie aus dem Jahr 1971 unter der Leitung von Philip Zimbardo an der Stanford University. Dabei wurde eine Gefängnisumgebung simuliert, indem College-Studenten die Rollen von Wächtern oder Gefangenen per Zufallsauswahl zugewiesen wurden. Das Experiment zeigte den starken Einfluss situativer Faktoren und sozialer Rollen auf das Verhalten, da die Teilnehmer schnell ausfällige oder unterwürfige Verhaltensweisen annahmen. Das Experiment warf ethische Fragen auf und verdeutlichte die Auswirkungen von Autorität und Entmenschlichung. Siehe auch Soziales Verhalten, Macht, Autorität, Situationen, Verhalten, Gruppenverhalten.

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Anmerkung: Die obigen Begriffscharakterisierungen verstehen sich weder als Definitionen noch als erschöpfende Problemdarstellungen. Sie sollen lediglich den Zugang zu den unten angefügten Quellen erleichtern. - Lexikon der Argumente.

 
Autor Begriff Zusammenfassung/Zitate Quellen

Theorie der sozialen Identität über Stanford-Prison-Experiment - Lexikon der Argumente

Haslam I 136
Stanford-Prison-Experiment/SPE/Psychologische Theorien: das SPE (...) löste eine hitzige ethische Debatte (z.B. Savin, 1973(1); Zimbardo, 1973(2)). Dies veranlasste die American Psychological Association schließlich, die Richtlinien für die Teilnahme an der psychologischen Forschung zu verschärfen, um sicherzustellen, dass sich die in Stanford beobachteten Missbräuche nie wiederholen.
>P.G. Zimbardo
, >Experimente, >Methode.
Haslam I 137
Browning: Der Historiker Christopher Browning (1992)(3) zieht so Parallelen zwischen dem Verhalten von Wachen in dem SPE und den Aktivitäten des Reserve Police Battalion (RPB) 101, eines mobilen nationalsozialistischen Tötungskommandos, die zwischen Juli 1942 und November 1943 durch das von Deutschen besetzte Polen streifte und mindestens 38.000 Juden ermordete. Browning zeigt, dass die Mitglieder dieser Einheit keine Fanatiker oder gar pro-Nazis waren und zudem nicht gezwungen waren, das zu tun, was sie taten. Wie der Titel seines Buches ausdrückt, waren sie für Browning nur "gewöhnliche Männer", die, wie Zimbardos Wachen, einem System erlagen, das "allein eine ausreichende Bedingung war, um anormales, unsoziales Verhalten zu erzeugen" (1992(3) S. 168).
Abu Ghraib Gefängnis: Erste Reaktionen von militärischen und politischen Führern versuchten, diese Missbräuche als isolierte Vorfälle und als die pervertierten Aktionen einiger weniger "schurkischer Soldaten" abzutun. Zimbardo stellte diese Darstellung jedoch in Frage und ging sogar so weit, sich als Sachverständiger für die Verteidigung beim Prozess gegen Ivan 'Chip' Frederick zu präsentieren, einen Stabssergeant, der beschuldigt wurde, Häftlinge in Abu Ghraib gefoltert zu haben.
Zimbardo: Wie die Wachen der SPE beschreibt Zimbardo ihn als "aus gutem Holz geschnitzt" ("chip off the best block"), der unwissentlich von der "schlechten Umgebung" ("bad barrel"), in dem er sich befand, pervertiert wurde (Zimbardo 2004(4): 344.
Haslam I 138
Es können verschiedene Ansätze für die SPE gefunden werden.
a) "Dispositionalismus" (die These, dass Verhalten auf Charakterzügen beruht),
b) "Situationalismus" (die These, dass individuelles Verhalten in individuellen Situationen entsteht) und
c) "Interaktionismus" (die These, dass die Interaktion von situativen Faktoren mit denen von Persönlichkeit, Einstellungen und Erwartungen in einer Situation entscheidend ist). (Zimbardo 2007(5): 9)
Abu Ghraib: Zimbardos Beweise in Fredericks Prozess wurden von dem Staatsanwalt der Armee, Christopher Graveline, mit ähnlicher Skepsis aufgenommen: Unmöglich, den situativen Kräften zu widerstehen?... Natürlich spielt die Situation, in der sich eine Person befindet, eine bedeutende Rolle in ihrem Handeln, aber zu sagen, dass schlechtes Handeln unvermeidlich wird, negiert die Verantwortung, den freien Willen, das Gewissen und den Charakter der Person. (Schotter und Clemens, 2010(6): 179).
1. VsZimbardo: (Banuazzi und Movahedi 1975(6)) Die Behauptung, dass die Aggression der Wache einfach als "natürliche" Folge des "In-der-Uniform-Steckens" einer "Wache" und der Behauptung der dieser Rolle innewohnenden Macht ausgestrahlt wurde" (Haney et al., 1973(7): 12), scheint mit dem Inhalt von Zimbardos Briefing an seine Wachen vor Beginn der SPE unvereinbar zu sein.
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2. VsZimbardo: Während Zimbardo behauptet, dass es die Wachen waren, die sich die verschiedenen Missbräuche ausdachten, die an Häftlinge in der SPE verübt wurden, scheint es, dass sie dabei nur Requisiten und Verfahren verwendeten, die von den Experimentatoren zur Verfügung gestellt wurden (z.B. Ketten, Taschen über dem Kopf, erzwungene Nacktheit). In einigen Fällen wurden die Wachen auch deutlich angewiesen, diese Werkzeuge zu verwenden. (Banuazzi und Movahedi 1975(6))
3. VsZimbardo: Ein dritter Einwand konzentrierte sich auf Zimbardos Behauptung, dass die Teilnehmer der Studie einfach normale Studenten seien. Dieser Punkt ergibt sich aus Forschungen von Thomas Carnahan und Sam MacFarland (2007)(7) an der Western Kentucky University, die untersuchen wollten, ob es etwas Ungewöhnliches an dem Typ von Person gibt, die sich freiwillig an einer solchen Studie beteiligt. Um diese Frage zu beantworten, platzierten die Forscher zwei Anzeigen in einer Lokalzeitung. Einer enthielt genau den gleichen Wortlaut wie die ursprüngliche Anzeige für die SPE (...), ließ aber einfach die
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Formulierung "des Gefängnislebens" weg.
Als Carnahan und MacFarland anschließend das Persönlichkeitsprofil der beiden Freiwilligengruppen verglichen, stellten sie fest, dass sie sehr unterschiedlich waren. Konkret waren diejenigen, die auf die Einladung zur Teilnahme an einer "Studie über das Gefängnisleben" (und nicht nur einer "Studie") reagierten, eher autoritär, machiavellistischer, narzisstischer und sozial dominanter. Sie waren auch weniger empathisch und weniger selbstlos.
ReicherVsZimbardo/HaslamVsZimbardo: Die BBC Gefängnisstudie (BPS) (Reicher and Haslam, 2006(8); siehe auch Haslam and Reicher, 2005(9), 2009(10)) (...) griff die von der SPE aufgeworfenen Fragen unter Verwendung desselben grundlegenden Paradigmas wie der Studie von Zimbardo erneut auf - mit dem Ziel, das Verhalten von 15 Männern zu untersuchen, die in einer speziell konstruierten, gefängnisähnlichen Umgebung über einen Zeitraum von bis zu zwei Wochen zufällig Rollen als Wachen oder Gefangene zugewiesen wurden.
>BBC-Gefängnisstudie, >S.A. Haslam.
BPS: unterscheidet sich von der SPE in zwei wesentlichen Punkten:
1. Es wurde keine Regel innerhalb des Gefängnisses angenommen, so dass
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[man] die Gruppendynamik studieren konnte, ohne sie direkt zu steuern.
2. Die Studie umfasste eine Reihe von Manipulationen, die auf der Grundlage der Social Identity Theory (SIT) entwickelt worden waren. Es wird vorgeschlagen, dass Menschen nicht automatisch Rollen übernehmen, die mit der Gruppenzugehörigkeit verbunden sind, sondern erst, wenn sie sich mit der betreffenden Gruppe identifiziert haben (Tajfel und Turner, 1979)(11).
BPS/Reicher/Haslam: Sein Ergebnis deutet auf eine ganz andere Analyse der Tyrannei hin als die von Zimbardo.
1) Dies liegt daran, dass die Teilnehmer des BPS, als sie sich der Tyrannei verschrieben, nicht in Bezug auf die von den Experimentatoren zugewiesenen Rollen handelten, sondern diese abgelehnt und neue Rollen angenommen hatten.
Haslam I 142
2) Es gab Unterschiede in der Begeisterung der Teilnehmer für diese tyrannische Lösung. Diejenigen, die die größte Begeisterung zeigten, waren die Teilnehmer, die von Anfang an am autoritärsten waren. (...) Dies bedeutete, dass autoritäre Teilnehmer erst dann in der Lage waren, ihre autoritären Ambitionen auszudrücken und voranzutreiben, wenn sie durch ein Gefühl der gemeinsamen Identität, das sie sowohl gestählt als auch moderatere Individuen für ihre Sache gewinnen ließ, motiviert worden waren.
>Tyrannei, >Sozialverhalten, >Gruppenverhalten, >Zwang.

1. Savin, H.B. (1973) ‘Professors and psychological researchers: Conflicting values in conflicting roles’, Cognition, 2: 147–9.
2. Zimbardo, P.G. (1973) ‘On the ethics of intervention in human psychological research: With special reference to the Stanford Prison Experiment’, Cognition, 2: 243–56.
3. Browning, C. (1992) Ordinary Men: Reserve Police Battalion 101 and the Final Solution in Poland. London: Penguin Books.
4 .Zimbardo, P.G. (2004) ‘A situationist perspective on the psychology of evil: Understanding how good people are transformed into perpetrators’, in A. Miller (ed.), The Social Psychology of Good and Evil. New York: Guilford. pp. 21–50.
5. Zimbardo, P. (2007) The Lucifer Effect: How Good People Turn Evil. London: Random House.
6. Banuazizi, A. and Movahedi, S. (1975) ‘Interpersonal dynamics in a simulated prison: A methodological analysis’, American Psychologist, 30: 152–60.
7. Carnahan, T. and McFarland, S. (2007) ‘Revisiting the Stanford Prison Experiment: Could participant self-selection have led to the cruelty?’, Personality and Social Psychology Bulletin, 33: 603–14.
8. Reicher, S.D. and Haslam, S.A. (2006) ‘Rethinking the psychology of tyranny: The BBC Prison Study’, British Journal of Social Psychology, 45: 1–40.
9. Haslam, S.A. and Reicher, S.D. (2005) ‘The psychology of tyranny’, Scientific American Mind, 16(3): 44–51.
10. Haslam, S.A. and Reicher, S.D. (2009) The BBC Prison Study website. Available at: www.bbcprisonstudy.org.
11. Tajfel, H. and Turner, J.C. (1979) ‘An integrative theory of intergroup conflict’, in W.G. Austin and S. Worchel (eds), The Social Psychology of Intergroup Relations. Monterey, CA: Brooks/Cole. pp. 33–48.


S. Alexander Haslam and Stephen Reicher, „Tyranny. Revisiting Zimbardo’s Stanford Prison Experiment“, in: Joanne R. Smith and S. Alexander Haslam (eds.) 2017. Social Psychology. Revisiting the Classic studies. London: Sage Publications

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Zeichenerklärung: Römische Ziffern geben die Quelle an, arabische Ziffern die Seitenzahl. Die entsprechenden Titel sind rechts unter Metadaten angegeben. ((s)…): Kommentar des Einsenders. Übersetzungen: Lexikon der Argumente
Der Hinweis [Begriff/Autor], [Autor1]Vs[Autor2] bzw. [Autor]Vs[Begriff] bzw. "Problem:"/"Lösung", "alt:"/"neu:" und "These:" ist eine Hinzufügung des Lexikons der Argumente.
Theorie der sozialen Identität

Haslam I
S. Alexander Haslam
Joanne R. Smith
Social Psychology. Revisiting the Classic Studies London 2017

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